Rückblick 2020

Weg von den Click-Dummys
Bayern will die wichtigsten OZG-Leistungen schon dieses Jahr online stellen

E-Government ist kein reiner Digitalisierungsprozess für analoge Prozesse, sondern sollte die Verwaltungsmitarbeiter in Bayern anregen, möglichst alles rund um Staat und Verwaltung in digitalen Strukturen ganz neu zu denken. Dies forderte die bayerische Staatsministerin für Digitales, Judith Gerlach, auf dem diesjährigen Zukunftskongress Bayern in München. Als scharfes Schwert sieht sie dabei das Onlinezugangsgesetz (OZG), bei dem der Freistaat in diesem Jahr bereits ein umfangreiches Angebot an digitalen Verwaltungsservices für Bürger und Unternehmen bereitstellen will.

Um die Digitalisierung in der Gesamtstruktur der öffentlichen Verwaltung bestmöglich umsetzen zu können, brauche es vor allem ein entsprechendes Mindset, das sich durch alle Ebenen der Verwaltung ziehe. Es müssten so auch diejenigen Mitarbeiter überzeugt werden, die bislang wenig von einem generellen Umdenken hielten, erklärte Digitalministerin Gerlach, Schirmherrin des Kongresses, vor den rund 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Haus der Bayerischen Wirtschaft. Dabei müsse man vor allem aufzeigen, dass von einem solchen Wandel mittel- und langfristig alle Seiten nur profitieren könnten – auch wenn sich ein Transformationsprozess zu Beginn immer auch ein bisschen lästig anfühle.
Besonders wichtig ist für Gerlach, dass sich die Verwaltung und die Bürger auf Augenhöhe begegnen: „Die Menschen dürfen sich nicht länger in einer Bittstellerrolle gegenüber der Behördenwelt sehen. Dafür müssen wir Bürger und Unternehmen in die Prozesse einbinden und hierdurch Vertrauen schaffen.“ Zwar müsse der Staat andere Regularien beachten als die Privatwirtschaft, man könne sich in einigen Punkten aber dennoch an den großen Digitalunternehmen orientieren, so die Ministerin: „Kundenzufriedenheit und Barrierefreiheit sind trotz aller Vorgaben wichtig. Daher müssen wir die Prozesse dringend bereits bei der Entwicklung vom Nutzer her denken und uns fragen, was der Bürger überhaupt will und braucht.“ Die Staatsregierung verfolge das Ziel, einen sogenannten Bayern-Standard für alle Dienstleistungen aufzubauen, damit die Angebote leicht zu nutzen seien und über einen hohen Wiedererkennungswert verfügten.

Rund 50 OZG-Leistungen bis Ende 2020

Ehrgeizige zeitliche Ziele hat der Freistaat bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. Man müsse „endlich weg von den Click-Dummys und hin zu konkreten Leistungen“, so Gerlach. Daher will Bayern bereits bis Ende dieses Jahres die rund 50 wichtigsten Leistungen für Bürger und Unternehmen online anbieten. Fachverfahren wie Bauanträge oder die Beantragung von Eltern- oder Wohngeld sollen damit bereits zwei Jahre vor Ende der OZG-Umsetzungsfrist Ende 2022 verfügbar sein. Zudem stellte die Ministerin den neuen OZG-Masterplan der Staatsregierung Bayerns vor. In diesem gehe es darum, die Leistungen so zu verteilen, dass sie jeweils in den entsprechenden Ressorts umgesetzt würden. Dafür gebe es zukünftig in jedem Ministerium einen OZG-Ansprechpartner, der als „digitaler Botschafter“ eine Schnittstellenfunktion zwischen Ressort und Digitalministerium bzw. Landesregierung einnehmen solle. Zusätzlich gebe es ein ressortübergreifendes OZG-Umsetzungsgremium, das mittels eines Tools auch den Fortschritt des Gesetzes flexibel für Bayern und den gesamten Bund überblicken könne.

Die OZG-Umsetzung als ­Erfahrungsreise

Für die vollständige und erfolgreiche Digitalisierung der Verwaltung geht das OZG Carolin Stimmelmayr, Referatsleiterin ­Digitale Verwaltung sowie stellvertretende Leiterin der Abteilung IT-Strategie, IT-Recht und Digitale Verwaltung in Gerlachs Digitalministerium, im Ansatz zwar nicht weit genug, „es kann aber als wichtiger erster Schritt gesehen werden, um die Verwaltung endlich einmal aufzurütteln und in Gang zu bringen“. Auch für Michael Kunadt von der Software AG hat die Umsetzung des Gesetzes zwei Seiten: „Die einen sehen einen guten Fortschritt, während andere dringenden Handlungsbedarf sehen. Ich denke, wir sollten das OZG hauptsächlich als Reise begreifen, auf der man viel Neues lernen kann und daraus Verbesserungen ziehen kann.“ Ein wichtiger Aspekt bei der Umsetzung sei aktuell, wie man die Dienstleistungen, die in regionalen Digitalisierungslaboren entwickelt und digitalisiert würden, sowie die oftmals dazugehörigen regionalen Bürgerportale nachhaltig und möglichst reibungslos in die Länderportale integrieren könne: „Es braucht an dieser Stelle eine föderale IT-Architektur mit Frontends und Backends, die sauber zusammenpassen und die mit den technischen Schnittstellen aller Standards ausgerüstet sind“, so Kunadt. Um die Wiedernutzbarkeit der regionalen Dienste für andere Behörden möglichst gut zu vereinfachen, müsse zudem ein transparentes Verzeichnis der digitalisierten Dienste angelegt werden, forderte Kunadt.

Fokus auf mobile Nutzbarkeit legen

Der Erfolg des OZG hängt nicht nur davon ab, dass Verwaltungsleistungen online zur Verfügung gestellt werden. Maßgeblich wird es darauf ankommen, wie passgenau diese Angebote auf das Nutzungsverhalten der User zugeschnitten sind. Die Verwaltung setzt bei der Digitalisierung vielfach noch auf Lösungen, die mit Blick auf die Eingabemasken und die Bedienbarkeit voll auf stationäre Desktopsysteme ausgelegt sind. Das muss sich dringend ändern, wenn in Zukunft alle Bürger, vor allem die jüngeren Generationen, auf die Dienstleistungen bevorzugt nur noch online zugreifen sollen. Es braucht einen Wandel hin zu heutigen Standards. Wichtig ist dabei das Prinzip „mobile first“, im Optimalfall in Verbindung mit behördenübergreifenden Plattform-Apps.
Um sich mehr in diese Richtung der mobilen Anwendungen zu bewegen und möglichst vielen Bürgern ihre Angebote schmackhaft zu machen, soll es im Freistaat zukünftig eine „Bayern-App“ geben, welche die zentralen Verwaltungsdienstleistungen vereinen soll. Diese soll zudem mit einer Erinnerungsfunktion ausgestattet sein, um dem Bürger beispielsweise eine Nachricht zu übermitteln, wenn die Neubeantragung des Personalausweises ansteht. Die erste Version der App ist laut Digitalministerin Gerlach für Ende dieses Jahres geplant. Die App soll dann immer weiter optimiert und beständig aktualisiert werden. Zudem müssten neue Dienstleistungen und Fachverfahren integriert werden, sobald diese in digitaler Form vorlägen, so die Ministerin.
Unterstützung erfährt sie dabei von Carolin Stimmelmayr. Sie fordert ebenfalls eine Kundenorientierung, die sich in einem zentralen Bayern-Standard niederschlagen soll, der als Siegel vergeben und überprüft werden soll. Ein zentraler Wunsch der Referatsleiterin ist es, den Stand der Technik konsequent in die Anwendungen der Verwaltung zu integrieren. „Wenn wir schon digitalisieren, dann müssen wir das auch richtig tun. Deswegen muss der Maßstab sein, funktionierende Dienste zu entwickeln, die der Bürger auch nutzt. Und der Bürger hat nun einmal hohe Anforderungen durch seine Erfahrungen mit den großen privaten Anbietern, also müssen wir als Staat an der Stelle auch entsprechend liefern“, so Stimmelmayr.

Kommunen sind das Gesicht der Verwaltung

Das zentrale Element für eine erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung ist allerorten und nicht nur in Bayern die enge Kooperation aller föderalen Ebenen. Eine besondere Rolle nehmen dabei die Kommunen ein. „Die Kommunen sind für den Bürger das Gesicht der Verwaltung. Dort entscheidet sich dementsprechend auch, ob die digitale Verwaltung funktioniert oder nicht“, befand entsprechend auch Digitalministerin Gerlach. Daher müsse man an dieser Stelle die technischen Innovationen nutzen, um aufseiten der Mitarbeiter für Entlastung und gleichzeitig aufseiten der Bürger für eine Entbürokratisierung zu sorgen. Das helfe beiden Seiten, auf entspanntere Weise miteinander umzugehen. Um den Kommunen unter die Arme zu greifen, gibt es bereits seit Mitte 2019 die Landesrichtlinie „zur Förderung der Bereitstellung von Online-Diensten im kommunalen Bereich“, besser bekannt unter dem Titel „Digitales Rathaus“. Die 40 Millionen Euro schwere Richtlinie, für die bislang rund 200 Anträge eingegangen sind, liegt in der alleinigen Obhut des Digitalministeriums, wo nun die Förderung von staatlichem und kommunalem E-Government zukünftig gebündelt werden soll. So soll dafür gesorgt werden, dass die Kommunen für Fragen zur Förderung einheitliche Ansprechpartner haben und innerhalb der Organisation möglichst kurze Wege vorhanden sind.

Digitale Metropole München

Längst haben die Kommunen bei der Digitalisierung nicht mehr nur die behördlichen Prozesse im Blick. Vielmehr geht es darum, eine möglichst breit angelegte Digitalstrategie für alle Bereiche des kommunalen Lebens zu erarbeiten und umzusetzen. Denn „wer die IT nicht beherrscht, hat zukünftig im Wettbewerb nichts mehr zu suchen“, so der IT-Referent und CDO der Landeshauptstadt München Thomas Bönig. An der Isar hat man sich vor diesem Hintergrund vorgenommen, bis 2025 auch eine „Digitale Metropole“ zu werden. Unter der Überschrift „München.Digital.Erleben“ soll eine zukunftsorientierte, nachhaltig agierende Metropole entstehen, welche die Digitalisierung aktiv und verantwortungsbewusst zum Wohl der Stadtgesellschaft einsetzt. Entsprechend muss sich auch die Verwaltung in diesem Wandel aufstellen, um auf die veränderten Anforderungen von zunehmend digitaler aufgestellten Bürgern und Unternehmen reagieren zu können. Die „Digitale Verwaltung“ und die „Digitale Stadtgesellschaft“ wurden in München daher als zwei Kernbereiche der kommunalen Digitalstrategie identifiziert. Dritter Kernbereich ist die „Städtische Infrastruktur“. Angesichts der vielfältigen Aktivitäten spielt Zusammenarbeit bei der Umsetzung der Digitalstrategie eine herausragende Rolle. „Kooperationen sind für die Digitalisierung in Bezug auf Kosten und Geschwindigkeit essenziell“, erklärt Bönig. Dies gelte nicht nur innerhalb der eigenen Stadtgrenzen, etwa mit Blick auf die Stadtwerke, die Hochschulen oder Partner in der Wirtschaft. München setze bei der Digitalisierung bewusst auch auf interkommunalen Austausch. So gebe es bereits eine Kooperation mit Nürnburg und Augsburg, die bald noch um Regensburg erweitert werden solle.
Um im Zuge der Digitalisierung ein hohes Maß an Transparenz zu gewährleisten und vielfältige Informationen zur Verfügung zu stellen, hat die Landeshauptstadt mit „muenchen.digital“ ein eigenes Portal geschaffen, welches sich explizit nicht nur an die eigene Bevölkerung richtet, sondern auch einen Beitrag zum besseren interkommunalen Austausch leisten soll.

Smartes Fichtelgebirge

Digitalisierung ist aber nicht nur in der Millionenstadt München ein Thema, sondern auch in den vielen ländlichen Regionen des Freistaats. So hat sich der Landkreis Wunsiedel gerade erst erfolgreich um die Teilnahme des vom Bundesinnenministerium geförderten Projekts „Modellkommune Smart City“ beworben. Dass die Rahmenbedingungen sich hier in vielen Feldern von Großstädten wie München unterscheiden, zeigte der Projektleiter des Landkreises Wunsiedel, Oliver Rauh. Die Bemühungen für ein „smartes Fichtelgebirge“ fänden bereits in
der Basisinfrastruktur ihre erste Hürde. Sprich, es fehle bislang noch am notwendigen Breitband. Die Auswirkungen des demografischen Wandels bzw. der Bevölkerungsverlust und die Lage in einem eher strukturschwachen Gebiet an der tschechischen Grenze stünden ebenfalls in einem deutlichen Kontrast zur wachsenden und prosperierenden Landeshauptstadt oder zu anderen urbanen Zentren. In Wunsiedel habe man sich daher entschlossen, einen eigenen Weg zu gehen und arbeite aktuell an einer Strategie für das smarte Fichtelgebirge. Hierfür habe man rund 1,5 Jahre eingeplant und wolle in diesem Prozess auch auf externe Beratung zugreifen. Zudem setze man im Landkreis auf einen sehr ausgeprägten Partizipationsprozess und auch überregionalen Austausch, um Netzwerke zu schmieden und möglichst alle relevanten Akteure auf dem Digitalisierungspfad mitzunehmen. Vor diesem Hintergrund sei es ein wenig bedauerlich, dass Wunsiedel derzeit der einzige Landkreis im Projekt „Modellkommune“ sei.

Intelligente Ökosysteme

Der interkommunalen Zusammenarbeit kommt bei der Umsetzung von Digitalisierungsstrate­gien ohnehin eine besondere Rolle zu. Für Ulf Ries von Cassini ist sie die Basis für „intelligente Ökosysteme“ von Städten und dem ländlichen Raum der Zukunft. Wie man dies konkret vor Ort umsetzt und mit der lokalen Smart-City-Philosophie und -Strategie in Einklang bringe, liege dann bei jeder Kommune selbst. Denn die Digitalisierung sei mittlerweile auch auf kommunaler Ebene ein politisches Thema, welches der Profilierung des Standorts gegenüber dem Wettbewerb diene.

Judith Gerlach, Staatsministerin für Digitales in Bayern, will beim OZG mehr erreichen als ständig neue Click-Dummys. Darum sollen im Freistaat bis Ende des Jahres schon mehr als 50 Dienste online gehen. Foto: BS/Dombrowsky

Das Zünglein an der Waage
Der Erfolg der Verwaltungsdigitalisierung entscheidet sich beim Backend

Mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) richten sich die Blicke zunehmend auf die öffentliche Verwaltung. Doch während sich inzwischen ein klares Bild darüber abzeichnet, was aufseiten des Bürgerkontaktes, des sogenannten Frontends, an Prozessen eingeleitet wurde, bleibt noch im Vagen, wie auch interne Verwaltungsprozesse ans digitale Zeitalter angebunden werden können. Diese Asymmetrie mag dem OZG geschuldet sein, das selbst keinerlei Maßnahmen für den digitalen Anschluss der Fachverfahren vorsieht. Unabhängig davon dürfte allerdings klar sein, dass modernes E-Government nur dort gelingen kann, wo Front- und Backend medienbruchfrei ineinandergreifen. Mittel und Wege bestehen, wie man derzeit im Freistaat Bayern sehen kann.

Beinahe im Wochentakt erreichen Nachrichten die Öffentlichkeit, dass ein Bürgerservice freigeschaltet, eine neue Plattform online gestellt wurde. Was hingegen mit den eingehenden Informationsströmen im Anschluss geschieht, darüber steht selbst in den detaillierteren Pressemeldungen in der Regel wenig geschrieben. Die Lücke macht auf ein grundlegendes Problem aufmerksam, insbesondere mit Blick auf die notwendigen Schritte im Zuge des OZGs. Denn schließlich bedeutet die digitale Öffnung des öffentlichen Dienstes auch ein Mehr an Informationen. Informationen, die verwaltet und in den jeweiligen Fachregistern abgespeichert werden müssen.
Schon jetzt habe man es mit zahlreichen Datensilos zu tun, sagt Lisa Kestler, Notarassessorin im Bayerischen Staatsministerium für Digitales. „Was die Verwaltung personenbezogener Daten anbelangt, ist die deutsche Registerlandschaft doch sehr zerfahren. Nahezu jedes Ressort führt eine eigene digitale Kartei. Dabei stellt die dezentrale Datenablegung grundsätzlich noch kein Problem dar; sie wird aber zu einem, wo eine übergreifende Gesamtarchitektur ausbleibt.“ Und genau das, so Kestler, sei im Augenblick der Fall: „Statt einem Netzwerk sehen wir uns isolierten und in ihrer Aktualität teils abweichenden Datensätzen gegenüber. Immer wird ein Teil der Person, nie aber die vollständige Identität erfasst. Für ein erfolgreiches Identitätsmanagement brauchen wir einheitliche Schnittstellenstandards, die eine Verknüpfung über das jeweilige Fachregister hinaus gewährleisten.“

Einrichtung eines nationalen Identitätsregisters

Rechtliche, aber auch konzeptionelle Schützenhilfe erhalte man hierbei von der Europäischen Union. Mit ihrem Beschluss eines Single Digital Gateways (SDG) aus dem Jahr 2017 habe diese die Weichen für eine transnationale Registermodernisierung gestellt. Das Schlüsselprinzip: Once Only. Statt der Anhäufung in Datensilos werden einmal eingegangene Bürgerinformationen miteinander verknüpft und über einheitliche Schnittstellen zur Mehrfachnutzung in unterschiedlichen Fachverfahren freigegeben. Die Registrierung erfolgt einmalig mit der Geburt und unter Wahrung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), so die digitale Agenda im Rahmen der EU. Für eine nationale Umsetzung müsse man den von der EU aufgezeigten Weg konsequent weitergehen, erklärt Kestler und zeichnet das Bild eines nationalen Identitätsregisters, in dem Basisdaten der Bürger – das beinhaltet: Vor- und Nachname, Geburtsdatum und -ort usw. – zum Abruf bereitliegen.
Ähnlich der Steuer-ID müsse ein numerischer Identifier vergeben werden, mittels dessen sich Kerninformationen eindeutig zuordnen ließen. Die daraus entspringenden Vorteile würden sich nicht nur beim Bürger bemerkbar machen, der seine Daten ab sofort nur noch einmal mitzuteilen hätte, sondern auch bei der Verwaltung, die zentrale Daten nun für dezentrale Verfahren auf Landes- oder kommunaler Ebene freigeben könne. Mit Blick auf den derzeit entstehenden Portalverbund hätte man damit einen regelrechten OZG-Enabler bei der Hand, der neben den Leistungen im Frontend auch das Backend digital ermächtige.

Digitalisieren heißt Priorisieren

Doch ist ein verknüpftes Daten- bzw. Identitätshandling nur ein Aspekt auf dem Weg hin zu einer digitalen Verwaltung. Ein anderer ist, wie die disponiblen Daten in den anschließenden Verfahren bearbeitet werden, sagt Dr. Lars Algermissen, Geschäftsführer der PICTURE GmbH. Seit Jahren berät er die öffentliche Verwaltung in Fragen der Prozessoptimierung und weiß um die Schwierigkeiten, die eine Umstellung im laufenden Betrieb bedeutet. Das gelte umso mehr bei einem Megathema wie der Digitalisierung, das sämtliche Arbeitsprozesse erfasse und in ihrer Substanz verändere.
Algermissen rät zu einer Bestandsanalyse, um in einem ersten Schritt diejenigen Themen zu identifizieren, die künftig als Treiber dienen können. „Es hilft nichts, sich ausschließlich auf die Probleme zu konzentrieren. Am Beginn jeder Prozessoptimierung stehen Herausforderungen, die zunächst übermächtig scheinen. Dazu rechnen Geld- und Ressourcenfragen, konzeptionelle Widrigkeiten, aber auch mangelnde Motivation. Die Wahrheit ist, solange der Fokus auf den Problemen ruht, geschieht nichts. Erst wenn ein klarer Nutzen identifiziert werden konnte, stellt sich aufseiten der Mitarbeiter die Bereitschaft ein, den digitalen Wandel in Angriff zu nehmen. Es geht darum, auf breiter Grundlage Akzeptanz zu schaffen – auch unter den Führungskräften.“ Aus Sicht des Prozessmanagements bedeute Digitalisieren darum immer auch nach Nutzen zu priorisieren.

Was einfach ist, setzt sich durch

Es zählt zu den Eigenheiten des digitalen Wandels, dass er zu einem Zeitpunkt einsetzt, da der Verwaltung große personelle Umbrüche bevorstehen. Aktuelle Zahlen sprechen von rund 30 Prozent des aktuellen Mitarbeiterbestands, der sich in den kommenden Jahren in den Ruhestand begeben wird. Das stellt die öffentliche Verwaltung vor enorme Probleme, denn dem Schwund des Personals aufseiten des Backends korrespondiert gleichzeitig – digitale Wege sei Dank – eine zunehmende Erreichbarkeit aufseiten des Frontends. Äußern wird sich die absehbare Personalknappheit wohl vor allem im direkten Kontakt mit dem Bürger.
Als eine Möglichkeit, die sich andeutende Überbelastung in ihren Ausmaßen abzuschwächen, bietet sich die Einbindung intelligenter Chatsysteme an. „Was die klassische Verwaltungsarbeit angeht, birgt die Digitalisierung große Potenziale. Der Einsatz KI-gesteuerter Chatsysteme kann hier viel leisten und die Mitarbeiter allein dadurch entlasten, dass Routinetätigkeiten einfach und komfortabel übernommen werden können“, erklärt Dr. Alexander Bode von MakeIT Consulting. Das IT-Start Up verantwortet den Verwaltungsassistenten „deinChatbot“, ein modular aufgebautes KI-System, das bereits in mehreren hessischen Kommunen im Einsatz ist. „Beim öffentlichen Sektor zeichnet sich wie bei der Privatwirtschaft ein Prozess in Richtung 24/7 ab. Zwar müssen digitale Prozesse im Backend genaustens durchdacht sein, mit KI-gestützten Chatsystemen können wir hier immerhin unseren Beitrag zum Bürgerservice leisten“, definiert Bode das Arbeitsfeld für Chatbots.

Muster erkennen, Vorhersagen treffen

Automatisierung und Assistenz seien indes nur zwei Bereiche für den Einsatz von KI im Öffentlichen Dienst. Ein ebenso vielversprechendes Feld sei die Erkennung von Mustern mit anschließender Vorhersage. Dieser Überzeugung ist Bernd Simon von SAP. „Der große Vorteil einer intelligenten Datenauslese kann sich für die öffentliche Verwaltung etwa in der Entwicklung eines Frühwarnsystems bei Steuersündern bemerkbar machen“, sagt er. Das System segmentiere unter den Steuerzahlern, erkenne Verhaltensmuster und leite daraus Schlüsse für eine frühzeitige Kontaktaufnahme ab. Simon: „Hat sich ein Bürger als notorischer Spätzahler entpuppt, besteht so die Möglichkeit, rechtzeitig gegenzusteuern“. Zwar sei ein vergleichbares System in Deutschland aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht umzusetzen, jedoch handle es sich nur um ein Muster, das die Möglichkeiten der intelligenten Vorhersage für anstehende Herausforderungen beim E-Government oder der Smart City illustriere.

Skepsis behalten

Ausgehend von den Möglichkeiten, die man heute schon besitze, sei ein Ende der technischen Entwicklung nicht absehbar, sagt Dr. Maximilian Wanderwitz, Autor und Dozent in München. Denkbar sei eine vollautomatisierte Zukunft, in der sämtliche Prozesse elektronisch abgewickelt würden: „Vom einfachen Verwaltungskontakt bis hin zur juristischen Klage könnte das gesamte Backend des Staates durch Algorithmen abgedeckt werden.“
Die letztlich entscheinde Frage sei, ob man sich ein solches Szenario einer entmenschlichten Verwaltung überhaupt wünschen könne.

Der innerbehördliche Workflow wird vom Onlinezugangsgesetz nicht erfasst. Medienbrüche (auch digitale) sind hier noch vielfach an der Tagesordnung. Bei der Einführung neuer Systeme sind diese manchmal sogar notwendig, um in der Übergangsphase arbeitsfähig zu bleiben. Foto: BS/Dombrowsky